Gespräch mit Defne Seidel

 


Gespräch mit Defne Seidel

Irgendwo in zwischen Köln und Berlin in einem netten Bücherkaffee verabreden wir uns an einem heißen Augusttag. Wir treffen uns zum ersten Mal, aber da ich ihre Bücher schon gelesen habe, kommt es mir so vor als würden wir uns schon Ewigkeiten kennen und so entsteht eher eine Unterhaltung mit einer altbekannten Freundin. Vor dem Bücherkaffee gibt es einige Tische und Stühle. Die Kunden werden mit warmen und kalten Getränken sowie hausgemachten Keksen und Kuchen verwöhnt.   Wir suchen uns einen schattigen Platz und bestellen erfrischenden Grünen Tee…

ZY: Liebe Frau Seidel. Herzlich Willkommen. Ich habe viele Fragen und möchte mit der ersten Frage unser Gespräch starten. Welche Einflüsse inspirieren Sie beim Schreiben?

DS: Vielen Dank für Ihre Einladung, mit Vergnügen... Manchmal passieren Kleinigkeiten im Leben, die mich tief beschäftigen. Dinge, die mich aufregen, die ich traurig, komisch, interessant, sehr weise oder einfach nur dumm finde und auch vieles mehr. In meinem Gedächtnis speichere ich alles, was mich bewegt, dabei bleiben Spuren in meinem geistigen Auge, die mich nicht mehr loslassen. So entsteht allmählich eine Geschichte. Alles im Leben kann mich beim Schreiben inspirieren. Entscheidend ist, dass mich mit diesen Dingen ein unsichtbarer Faden emotional verbindet. Wenn das Gefühl nicht da ist, entsteht keine Geschichte.  

ZY: Wie verlaufen Grenzen zwischen Fiktion und Realität?
DS: Da mich beim Schreiben das wahre Leben inspiriert, sind wahre Begebenheiten mein Ausgangspunkt , aber dann, wenn die Geschichte nach und nach wächst und Form annimmt, verläuft die Realität mit fiktiven Motiven zusammen. Grundsätzlich steht für mich die Stimmung des Buches an erster Stelle. Also wahre Begebenheiten legen quasi den Grundstein für die Geschichte und müssen zum Ganzen passen. 

ZY: Jeder hat eine Geschichte, aber sie in Worte zu fassen und zu verknüpfen ist etwas Anderes. Konkret kann man Schreiben lernen oder ist es eine Gabe?
DS: Ich hatte große Lust zum Schreiben. Sehr oft habe ich vergeblich vor dem Rechner gesessen und versucht einfach mit dem Schreiben loszulegen. Allerdings ohne Erfolg, denn es kam aber nichts. Ich stellte mir vor, dass die Worte wie ein Fluss einen Damm bricht aus mir sprudeln würden und die Geschichte fast von alleine entsteht. Wie naiv ich war! Ich habe Erfahrungen und Tipps berühmter Autoren gelesen, wie sie beim Schreiben vorgehen. Jeder hatte andere Methoden. Es gab keine allgemeine Vorgabe, wie man schreibt. Ich musste meinen Weg selbst finden, der nicht einfach war. Man nimmt eine zweite Hülle, wie eine neue Haut an oder anders gesagt, aus dem eigenen Inneren erscheint eine weitere andere Seite. Wenn man dies eine Gabe nennt, muss man zum Schreiben große Lust haben und für neue Inspirationen offen sein. Man muss viel lesen, die Umgebung, die Menschen beobachten und sich Zeit lassen, um zu denken und zu träumen und den Zauber kleiner Dinge erkennen, die im Leben oft passieren, etwas ruhiger und zurückhaltender leben. 

ZY: In Ihren Büchern herrscht eine Harmonie bezüglich des Miteinanders in der multikulturellen Gesellschaft. Ist dies tatsächlich so oder spielt es doch auf eine liebenswerte Weise ein wenig kritisch den Sollzustand an? 
DS: Etwas kritisch ist meine Art zum Schreiben schon, aber bisher nur im Ansatz mit leisen Wörtern. Ich schreibe keine Märchenbücher, obwohl es in Märchen sowohl die Guten als auch die Bösen vorkommen, aber dennoch immer im Guten enden. In meinem Kinderbuch „Arda und der Spuk" habe ich versucht unser Leben in Deutschland aus der Sicht eines Kindes zu erzählen, da Kinder die Welt als Abenteuerspielplatz betrachten. In meinem Roman „Der Weg zu Dir" wollte ich unsere sinnliche und literarische/poetische Seite zeigen, die oft für fremde Menschen unsichtbar bzw. unbekannt bleibt; wie wir Gedichte lieben und gerne über Gott und Welt philosophieren, usw. In „Berlin'de Sonbahar" entwerfe ich Menschenbilder türkischer Abstammung in der Gesellschaft in Deutschland. Dabei habe ich nicht immer die Türken geschont und die Deutschen schlecht dargestellt, ganz im Gegenteil, weil diese Art zum Schreiben nicht ehrlich wäre bzw. nicht authentisch. Ich halte der Gesellschaft einen Spiegel vor, der alle Macken, aber auch Schönheiten, wie z.B.: die der Natur reflektiert.

ZY: Wie meistern Sie Ihren Alltag zwischen zwei Stühlen?
DS: Mit Respekt und Toleranz versuche ich in der deutschen Gesellschaft meinen Platz zu suchen, ohne meine Herkunft und Kulturwerte zu verlieren. Mit 20 bin ich nach Deutschland gekommen, da hatte ich meinen Beutel voll mit Büchern auf Türkisch, Rezepten aus der heimischen Küche, Kassetten mit türkischen Liedern, also alles Erinnerungen aus meiner türkischen Heimat... Es sind noch weitere 20 Jahre vergangen und ich habe einfach weiter gesammelt, auch Erfahrungen. Jetzt teile ich mit meinen Lesern, was sich in diesem Beutel bislang angesammelt hat...

ZY: Für wen Schreiben Sie insbesondere?
DS: Ich richte meinen Fokus an die junge Generation in Deutschland, die zwischen zwei Stühlen lebt. Insbesondere für meine Kinder, denn ich möchte ihnen zeigen und klarstellen, dass Respekt und Toleranz die wichtigsten Werte sind, die ein Leben miteinander ermöglichen.  Ich wünsche mir, dass sie in Zukunft offene und wissbegierige Menschen werden. Ich möchte Bücher schreiben, die sowohl sprachlich ein Wohlfühlgefühl auslösen als auch eine neue Perspektive auf die bestehende Gesellschaft werfen. 

ZY: Alles, was Geschaffen wird braucht seine Zeit. Wie verläuft der Weg von der Idee zum fertigen Werk?
DS: Wenn ich gerade kein Schreibprojekt habe, sammle ich dann die Ideen zum nächsten Projekt. Ich lese viel, unterhalte mich mit Freunden, folge aktuelle Nachrichten, bis ich etwas finde, das meine Neugier weckt, allein eine Idee reicht mir auch nicht. Ich fokussiere mich dann auf die Idee und fange mit dem Recherchieren an, halte Notizen und Gedanken fest, überdenke Prozesse. Diese Phase allein dauert 3-4 Monate. Die Kerngeschichte schreibe ich relativ schnell, dies kann binnen 2 Monaten erledigt sein. Dann kommt die Überarbeitung. Das ist schlimm, denn meistens frisst diese Phase meine Energie. Dann lasse ich mein Manuskript eine Zeitlang in Ruhe. Dann lese und überarbeite ich den ganzen Text noch einmal. Über 1 bis 2 Jahre braucht ein Roman schon, manchmal auch mehr. 

ZY: Linguistisch unterscheiden sich beide Sprachen doch sehr, die eine nüchterner und die andere sehr "dekorativ". In welcher Sprache -hierbei eher auf der emotionalen Ebene-fühlen Sie Ihre Werke ausdrucksstärker?
DS: Die Sprache ist lebendig und wächst immer weiter. Deutsch lerne ich immer noch, aber nicht aus den Grammatikbüchern, sondern lese ich viel und unterhalte mich meinen deutschen Freunden. Ich versuche die Sprache alltäglich zu gebrauchen.
Aber die türkische Sprache ist für mich intimer. Ich weiß, wenn ich auf Türkisch schreibe, liest es mein ganzes persönliches Umfeld, also alle Bekannten, die ganze Familie, alte Kindheitsfreunden aus meiner Heimat usw. Wenn ich mich verstecken möchte, schreibe ich auf Deutsch. Wenn ich meine Gefühle und Gedanken loslassen möchte, schreibe ich auf Türkisch.

ZY: Wie ist das Verhältnis zwischen Frau, Mutter und Autorin?
DS: Es ist nicht einfach Frau zu sein, besonders nicht in der türkischen Kultur. Mutter zu sein bedeutet, mehr Verantwortung zu übernehmen. Ich fühle mich verpflichtet meiner Familie gegenüber, das beinhaltet auch häusliche Aufgaben nicht zu vernachlässigen, ich versuche die Wohnung immer sauber zu halten, täglich etwas Frisches zu kochen, Gäste gut zu bewirten. Die Liste erstreckt sich ins Unendliche... Autorin zu sein bedeutet für mich vor allem in eine Welt zu tauchen, in der ich nur mir gegenüber Verantwortung trage. Eigentlich schreibe ich insbesondere für mich. Das ist meine Freiheit...

ZY: Ich bedanke mich ihnen herzlich für Ihre offene Art und ehrliche Antworten. Übrigens wir haben ja noch gar nicht über Ihre neuen Projekte gesprochen! Daher, einmal ist keinmal, also müssen wir uns bald unbedingt wieder treffen und die Gelegenheit nutzen, um auch auf dem Laufenden zu bleiben und ein wenig in Ihren neuen Ideen zu schnuppern. 
Sie lacht...
DS: Ich danke Ihnen, dass Sie mir diese Möglichkeit gaben, so dass ich meinen Lesern ein paar Einblicke über die Zeilen hinaus geben konnte. Wenn Sie in Zukunft in Berlin sind, würde ich mich auch sehr über einen Besuch freuen…

August 2020
Defne Seidel-Zuhal Yilmaz

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