Warum schreibe ich?
Gedanken übers Schreiben
15.5.2020
18.04.2020
Warum ich schreibe...
15.5.2020
Heute habe
ich mir wieder übers Schreiben Gedanken gemacht.
Ich habe
lange Zeit überlegt, ob ich auf Deutsch oder auf Türkisch schreiben soll.
Vielleicht
lohnt es sich nicht für jeden darüber nachzudenken.
Ich bin in
der Türkei geboren und habe bis zu meinem 21. Lebensjahr dort gelebt. Das
heißt, meine Muttersprache ist Türkisch. Ich lebe seit meinem 21. Lebensjahr in
Deutschland. Seit mehr als als 21 Jahren...
Soll aber
eine AutorIn bis an ihr Lebensende nur in ihrer Muttersprache schreiben, ihre
im Kopf herumirrenden Gedanken und Gefühle in der Muttersprache
ausdrücken, träumen...?
Oder geht
das auch genauso mit der erlernten Sprache, die ein Teil des Lebens wird...
Ich arbeite
gerade an einem Projekt, eine Biografie soll es sein.
Das Person, das ich sein Lebensbericht schreibe, kommt ursprünglich aus dem Irak, er ist Turkmene.
Ich kann jetzt schon sagen, es wird
ein interessantes Buch dabei herauskommen. Und ich freue mich schon
darauf.
Was ich
heute festgestellt habe...
Er
erzählte, von wo er herkommt: aus der irakischen Provinz Kirkuk. Dort leben
Araber, Turkmenen und Kurden seit
Generationen zusammen. Er sagte: "Ein Araber in Kirkuk spricht neben
Arabisch auch Turkmenisch und Kurdisch. Eine Kurde spricht dort neben Kurdisch
ebenso Arabisch und Turkmenisch. Und eine Turkmene beherrscht
neben Turkmenisch auch das Arabische und das Kurdische."
Und was die Sache interessant macht: Künstler, Autoren, Musiker und Dichtern nutzen in ihren Werken alle drei
Sprachen.
Warum also soll eine Autorin mit türkischen Wurzeln in Deutschland nicht
ebenso auf Deutsch wie auf Türkisch Bücher schreiben?
Warum ich schreibe...
Schon als
kleines Kind habe ich immer gern Bücher gelesen. Irgendwann habe ich das
Tagebuchschreiben begonnen. Und dann eine lange Zeit danach gestrebt, selbst
ein Buch zu schreiben.
Zu
allererst wollte ich die Geschichte meiner Familie aufschreiben, obwohl an ihr
nichts Besonderes ist.
Wir teilten
das Schicksal hunderttausender Familien, die in 60er und 70er Jahren aus der
Türkei als Gastarbeiter nach Deutschland einwanderten.
Ich
erinnere mich immer noch, als ob es gerade eben passiert wäre. Ich war ungefähr
zwölf und lebte bei meiner Großmutter in der Türkei. Es war eine heisse
Sommernacht. Meine Familie war aus Deutschland hierher in die Ferien gekommen.
Meine Oma hatte einen schönen Garten. Wir saßen auf der Terasse und hatten
zusammen gegessen. Nach dem Essen gingen alle wieder hinein, außer ich und
meinem Vater. Er saß traurig unter honigduftenden Girlanden, schaute
gedankenvoll in den dunklen Himmel mit den leuchtenden Sternen und rauchte eine
Zigarette. Und sagte: "Wir sind in Deutschland Ausländer und hier
Deutschtürken. Nirgendwo gehören wir richtig hin."
Seine Worte
habe ich nie vergessen. Nach seinem Tod habe auch ich mein Land verlassen und bin nach Deutschland gekommen.
Jahre sind vergangen, aber ich habe seine Worte nicht vergessen.
Bin ich
auch hier wie mein Vater Ausländerin und
in der Türkei Deutsch-Türkin und gehöre nirgendwo richtig dazu? Vielleicht ja.
Vielleicht auch nein.
Als ich mit
21 nach Deutschland einwanderte, war ich eine erwachsene junge Frau. Wäre ich
in der Türkei geblieben, hätte ich
vielleicht schon früher mit dem Schreiben angefangen. Vielleicht hätte ich mich
mit Frauenrechten oder Klimawandel beschäftigt, oder was immer auch populär und
aktuell gewesen wäre. Oder ich hätte Kinderbücher geschrieben, vielleicht auch
Kunstmärchen.
Aber als ich in Deutschland ein neues Leben begann, wusste ich nicht mal
in welcher Sprache ich schreiben sollte. Auf Deutsch oder auf Türkisch? Mein
sechster Sinn sagte mir, dass ich unbedingt Deutsch lernen sollte. Und es hat
leider Jahre gedauert, bis ich genau wusste, wohin ich richtig gehöre und wozu
ich schreibe.
Defne Seidel
Defne Seidel