Jutta und meine Mutter
Jutta und
meine Mutter
Vor einigen
Jahren, an einem ganz normalen Morgen, stand ich wie immer früh auf. In meinem Mailfach
fand ich eine Message von einer gewissen Jutta. Damals schrieb ich noch an
meinem Kochblog. Es war nicht unüblich, oft bekam ich Mails von türkischen und auch
deutschen Leser. Viele hatten Fragen zu meinen Rezepten oder schickten mir
einfach Tipps, manchmal auch neue Rezeptideen.
Zuerst
schrieb Jutta über ihr eigenes Leben und ich überflog schnell die Zeilen.
Die Dame
war im Rentenalter. Lange Jahre arbeitete sie als Deutschlehrerin und
anschließend leitete sie sogar ein Gymnasium. Dazu besaß sie den Titel als
Professorin und lehrte in einer Uni Geschichte. Sie war eine sehr gebildete
Frau, mit Erfahrung.
Aus ihrer
ersten Ehe hatte sie einen erwachsenen Sohn, der sie stolz machte und in
Freiburg lebte. Er schrieb gerade über Philosophie seine Doktorarbeit. Bereits seit
15 Jahren lebte sie mit ihrem zweiten Ehemann glücklich zusammen.
Vor 6
Monaten erlitt sie einen schrecklichen Unfall. Seitdem saß sie im Rollstuhl. Es
waren schwierige und schmerzvolle Zeiten für sie. Mehrere OPs und Physiotherapien
folgten. Was ihr half wieder auf die Beine zu kommen, war ein ganz besonderes
Weihnachtsgeschenk für ihren Sohn zu kreieren, ein Familienkochbuch.
Da sie im
Rollstuhl saß, hatte sie dafür jede Menge Zeit und fing an, die
Lieblingsrezepte von ihrem Sohn zu sammeln. Dazu schrieb sie kleine Anekdoten
vom Alltag auf, aber auch aus ihrem langjährigen Arbeitsleben fügte sie hinzu.
Die Familiengeschichte, die von Generationen zu Generation weitergegeben wurde,
durfte nicht fehlen. Ihre gesammelten Notizen schickte sie mir als E-Book.
Dazwischen befanden sich immer wieder nette Zeichnungen von ihrem Mann, der
sich in seiner Freizeit als Künstler versuchte.
Nun war sie
auf der Suche nach türkischen Rezepten, und fand im Internet schnell meinen
Kochblog, der einst im deutschen Sprachraum ganz beliebt war.
Dann kam
sie zu dem Punkt, warum sie mir überhaupt schrieb:
Es war eine
tolle Idee: Sie wollte ein zweisprachiges Kochbuch mit Rezepten aus zwei Ländern,
türkisch und deutsch erstellen. Und fragte mich, ob ich Lust und Zeit hätte, es
mit ihr zusammen zu machen.
Jutta
wollte, dass ich für dieses Projekt auch die Übersetzungsarbeit übernehme. Ich
schrieb sogar den Kochblog in zwei Sprachen, aber hatte nie behauptet, dass
mein Deutsch dafür ausreichend war. Ich betrachtete das Ganze, was ich bisher
leistete, als Hobby. Mein Deutsch war weit entfernt, als perfekt zu sein.
Aber
immerhin habe ich mich geschmeichelt gefühlt. Nach kurzem Überlegen fing ich an,
mit ihr zu arbeiten.
Nun schrieben
wir täglich Mails, tauschten uns aus und diskutierten angeregt miteinander. Zum
Schluss lasen wir noch einmal Korrektur und ich fing freiwillig an alle Rezepte
zu testen. Sie suchte für meinen Blog immer weiter türkische Rezepte für den
deutschen Gaumen.
Nach einer
Weile tauschten wir uns nicht nur mehr für unser gemeinsames Buchprojekt aus, sondern
wurden inzwischen Freundinnen. Irgendwann hatte Jutta mir geschrieben, dass sie
mit ihrem Mann in den Sommerferien innerhalb Deutschlands mit dem Auto
verreisen wollten. Sie würden mich gerne in Berlin besuchen und fragten mich,
ob sie bei uns übernachten könnten. Die zwei Terrier Hunde hatte sie mir
allerdings verschwiegen. :)
Natürlich
habe ich sofort ja gesagt, schließlich gab es die türkische Gastfreundschaft ...
Mit Freude
und viel Aufregung hatte ich mich auf ihren Besuch vorbereitet. Meine Mutter
und Schwester rief ich zur Unterstützung. Da Jutta und ihr Mann ganz schnell
feststellten, dass meine mündlichen Deutschkenntnisse noch schlechter waren,
als meine schriftliche, sollten sie Jutta und ihren Mann Gesellschaft leisten.
Als es
langsam dunkel wurde, machte ich im Gästezimmer die Betten. Für die beiden
Hündinnen gab es im Zimmer auch Platz. Als Burkhard, Juttas Mann, ins Zimmer
kam, war er aber enttäuscht:
"Was,
muss ich auch hier Staub saugen?"
Aus Versehen
hatte ich den Staubsauger mitten im Zimmer gelassen. Da zuhause Staubsaugen zu seinen
Aufgaben gehörte, dachte er, hier gleich weiter machen zu müssen.
Bis ich
verstand, was hier los war, brach schon das große Gelächter aus.
In der
Hektik, war ich mal in der Küche, mal im Garten. Ich versuchte, mein Bestes zu
geben. Plötzlich war es etwas ruhiger. Mein Mann hatte Nachtschicht und ließ
uns allein. Burkhard nippte sein Bier aus einer Apfelschorleflasche, damit die
Kinder nicht mitbekamen, dass er Alkohol trank. Die Kinder kümmerten sich
liebevoll um die beiden Hündinnen. Jutta und meine Mutter waren in Gästezimmer.
Ich wollte schauen, ob sie etwas brauchten und warf von der Tür aus ein Blick
auf die beiden. Zusammen saßen sie auf dem Gästebett nebeneinander und sprachen
mit leiser Stimme miteinander.
Jutta
sagte:
"Mein
Sohn ist 27 geworden und hat eine Freundin. Er will heiraten, Kinder bekommen,
doch sie denkt nur an ihre Karriere. Besser wäre es, er hätte sich mit einer
gutmütigen jungen Türkin getroffen."
Meine
Mutter erwiderte verständnisvoll:
"Ja,
ja, es ist Zeit für ihn eine eigene Familie zu gründen und Kinder zu bekommen.
Gott ist allmächtig!"
Verdutzt
sah ich beide Frauen an, die nicht unterschiedlicher hätten sein können. Die eine
Mutter hatte drei Töchter und in ihrem ganzen Leben als Küchengehilfin in einer
Fabrikküche gearbeitet. Und die andere war eine intellektuelle Karrierefrau.
Diese
seltsame und intime Szene habe ich lange Zeit in meinen Erinnerungen behalten,
bis ich sie später in einem Roman verwendet habe. Das Leben ist seltsam!
Vor Kurzem
habe ich erfahren, dass die Jutta von unserem Leben Abschied genommen hat.
Liebe
Jutta, ich vermisse dich sehr ...
Defne Seidel
Defne Seidel